Berichte der "Historischen Fahrräder" 2010

Letzte Aktualisierung 21.12.2016

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Oktober 2010

L'Eroica - den alten Heroen zum Gedenken

Text und Fotos: Alfred Preuhsler / Jürgen Nöll

Was hat uns zur Teilnahme motiviert

Jedes Jahr Anfang Oktober treffen sich Besitzer historisch/klassischer Rennräder in der Toskana, um an einem Radrennen der besonderen Art teilzunehmen. Was vor 10 Jahren noch als Geheimtipp galt, zählt heute mit fast 3.500 Teilnehmern zu d e m europäischen Radsportklassiker schlechthin. Wir waren dort…

Bereits kurz nach unserer denkwürdigen Basel-Kleve-Tour 2009 mit historischen Opel-Rennrädern reifte der Plan zu einem neuen Vorhaben. Ex Rad-Weltmeister Klaus-Peter Thaler hatte uns von der L'Eroica vorgeschwärmt, einem historischen Radrennen in der Toskana, an dem er teilgenommen hatte und das ein einmaliges Erlebnis gewesen sein soll.

Nachdem wir uns die entsprechende Homepage des Veranstalters im Internet angesehen hatten, nahm die Idee Gestalt an. Vier verschiedenen Etappen zwischen 40 und 205 km standen zur Wahl.

Wir entschlossen uns für die 75 km-Tour.

Schon im Winter 2009 hatten wir uns für das Rennen im Oktober 2010 angemeldet und Zimmer reserviert. Bedingung für die Teilnahme war ein Rennrad vor 1987, das weder Klickpedale noch sonstigen Schnickschnack besaß. Schaltung am Unterohr war ebenso obligatorisch wie frei verlegte Bremszüge – so genannte Wäscheleinen. Alfreds Frau hatte ihn zum Geburtstag mit einem entsprechenden Bianchi-Rennrad überrascht, Hans besaß noch sein 70er Jahre Kolbe und Jürgen entschied sich für seinen Opel Flitzer aus dem Jahre 1927. Im Laufe des Jahres wurde kräftig trainiert, denn eines war klar – es würde mehr als hart werden. 75 Kilometer auf zum Teil lockerem Untergrund. Dazu galt es, bis zu 1800 Höhenmeter zu überwinden. Also alles andere als eine Spazierfahrt.

Auszug aus Alfreds Tour-Tagebuch:

Mittwoch, 29.09.

Wir - meine Frau und ich - haben schon 1 Woche Wandern in Südtirol hinter uns und fahren nun weiter in die Toskana. Kurz vor Cavriglia (ca. 30 km nordöstlich von Siena) verlassen wir die Autobahn. Dann noch 30 km Landstrasse. Es ist sehr hüglig! Ein Vorgeschmack auf L'Eroica?

Gegen 16:00 Uhr sind wir da. Wo sind die Hausleute? Erst später, so gegen 18:00 Uhr tauchen sie auf. Sie waren bei der Weinernte. Inzwischen sind Hans und Ingrid eingetroffen und leisten uns Gesellschaft. Später kommen dann auch noch Ingrid und Jürgen an. Wir sind komplett. Um 20:00 Uhr gibt`s Abendessen vom Chef. Alle sind schon sehr gespannt was uns hier erwartet: üppige drei Gänge, Antipasti, Rinderbraten, Wildschwein… Dazu Chianti bis zum Abwinken – es lebe die Toskana.

Donnerstag, 30.09.

Karges Frühstück um 8:30 Uhr. Um 10:30 Uhr starten wir zu unserem 1. Training. Das Wetter ist gut – unser Ziel: Gaiole. Der kleine Ort liegt mitten im Chianti-Gebiet zwischen Florenz und Siena in einer von Eichen, Kastanien, Pinien und natürlich Rebstöcken bewachsenen Hügellandschaft. Hier wird auch der Start der Eroica sein. In Cavriglia geht es mit 6-10 % schon heftig nach oben. Kleiner Abstecher zur Unterkunft von Hans und Ingrid, einem kleinen Weingut inmitten von Weinbergen und Olivenhainen. Schöne Lage, nette kleine Wohnung mit Terrasse. Nach den 1. Strapazen fällt es uns nicht mehr ganz leicht, erneut auf die Räder zu steigen. Wieder auf der Straße, geht es sehr kurvenreich und konstant steil um 300 Höhenmeter nach oben. 15 Kilometer bis Gaiole. Von 270 auf 560 Höhenmeter. Dann folgt eine rasende Abfahrt mit vielen Kurven. Nach Vernichtung von 200 Höhenmetern erreichen wir unser Ziel. Ein kleiner netter Ort. Hier wird also am Sonntag gestartet. Die Vorbereitungen laufen schon. Dann geht es wieder die vielen Kurven zurück. Jürgen ist nicht richtig fit – er ist noch von Hockenheim stark erkältet.

Ergebnis

Distanz: 29 km,
Fahrzeit: 2:10 Std.,
Höhenmeter: 737 Hm,
durchschnittliche Steigung.: 5%,
max. Steigung: 10%,
max. Geschwindigkeit: 39 km/h.

Freitag, 01.10.

Fahren heute mit dem Auto nach Gaiole - Fahrradflohmarkt u Anmeldung zum Marathon stehen auf dem Programm. Wir erhalten alle Unterlagen, inkl. einer gravierten Alu-Trinkflasche. Auf dem Teilemarkt hab ich einen Bianchi-Rennsattel im typischen Celeste-Farbton erstanden. Dann treffen wir Gerd und Stephan. Beide haben auch schon interessante Teile-Schnäppchen gemacht...

Samstag, 02.10.

Morgens fahren Jürgen, Hans und ich noch einmal nach Gaiole. Wollen noch mal auf dem Flohmarkt stöbern. Es ist die Hölle los. Nun sind alle Stände aufgebaut und es wird alles angeboten was einen Rennradfahrer begeistert. Räder aller Art vom Rostteil vor 1900 bis zum Toprenner aus 2010. Ersatzteile, historische und neue Renntrikots und, und, und. Jürgen und ich haben ein Eroica-Shirt erstanden. Und ich als Uhrenfan, hab sogar eine Eroica – Uhr entdeckt, an der ich nicht vorbei komme. Ein Riesenrummel bei der Anmeldung. Die Fahrräder in Listen eingetragen und genauestens unter die Lupe genommen. Danach mit dem stolzen Besitzer sogar noch fotografiert. Hier treffe ich wieder Gerd und Stephan, die auch ihre Räder registrieren lassen wollen. Ihre Opel-Rennräder und ihr einzigartiges, zeitgenössisches Outfit erregen viel Aufsehen. Die Fotografen stehen Schlange. Später kommen noch Jockel Faulhaber und Klaus Peter Thaler hinzu.

Interessant ist auch die historische Rennrad-Ausstellung mit wirklich vielen seltenen Exponaten. Hier sehe ich auch zwei herausragende Rennfahrer der Eroica. Beide sind auf vielen Bildern vergangener Rennen immer wieder zu sehen. Einer davon, mit stark gekrümmten Rücken, ein über 80 Jahre alter Mann. Er fährt im alten Bianchi-Wolltrikot noch immer die 40 km mit. Der andere mit einem riesigen Bart, in einem von Motten zerfressenen Trikot und immer mit einem alten Renner aus den 20er Jahren unterwegs.

Bummeln macht hungrig. Wir essen eine Kleinigkeit, sitzen vor einem Bistro auf der Gartenmauer. Dann geht´s zurück.

Treffen unsere Frauen in der Unterkunft von Hans. Die haben sich zwischenzeitlich beim Hausherrn und Winzer mit selbst gepresstem öl und Wein eingedeckt. Herrliches Wetter. Lassen es uns gut gehen und genießen den tollen "Roten" in vollen Zügen. Später treffen wir uns zum Abendessen in unserer Taverne.

Sonntag, 03.10.

Der EROICA – Marathon

Aufstehen 6:30 Uhr,

Abfahrt 8:45 Uhr.

In Gaiole ist bei unserer Ankunft bereits die Hölle los. Tausende von Radfahrer aller Nationen auf der kleinen Piazza Ricasoli. Natürlich am meisten Italiener. Und die palavern was das Zeug hält. Teilnehmer, die die großen Distanzen fahren, sind zum Teil schon im Dunklen um 4:45 Uhr gestartet!

3.480 Teilnehmer, so entnehmen wir später der Presse, sollen es sein. Es sind ganz verrückte Typen dabei, vielfach in originalem Outfit. Einige haben für den Notfall einen Ersatzschlauch und Werkzeug in die hintere Trikottasche gestopft und einen Radmantel um den Oberkörper geschlungen. Ein Karneval der Radkulturen, Gaiole in festa. Ich habe die Startnummer 2957.

Wir starten um 9:10 Uhr.

5 km rollt es bergab, aber dann die 1. Steigung. So kämpfen wir uns von Berg zu Berg. Das Feld zieht sich auseinander. Viele treffen wir immer wieder an den steilen Rampen. Nach gut 20 km beginnt es zu regnen und der heilige Staub der Strada Bianca verwandelt sich in einen üblen, alles bedeckenden Schlamm.

Ein Dank an Jürgen – wir haben Schutzbleche. Weder Dreck im Gesicht noch am verlängerten Rücken! Gerd und Stefan sind längst entschwunden. Wo nehmen die bloß diese Kraft her? Steigungen von bis zu 15 % und ohne Gangschaltung – unvorstellbar!

Bei km 30 werden wir von einem 500er Fiat-Servicewagen überholt. Flotte Musik aus den 50ern trötet blechern aus dem Lautsprecher auf dem Dachgepäckträger. Das hebt unsere Laune wieder, denn es ist trüb. Aber der Regen lässt nach - hört schließlich ganz auf. Immer wieder mal arme Sportler, die Reifen flicken. Ich flehe alle Heiligen an, dass uns so was nicht passiert. Dann wieder Profi- Fotografen mit riesigen Teleobjektiven. An einem leichten Gefälle rollen wir flott auf ein 2 Mann – Team zu und werden sofort ins Visier genommen. Ich dachte schon, nun ist man doch noch auf unser Opel – Werksteam aufmerksam geworden, doch dann die Enttäuschung. Wir werden von vermutlichen Profis mit hohem Tempo überholt. Die Aufmerksamkeit der Fotografen galt wohl ihnen.

Herrliche Toskana - Landschaft – muss immer wieder mal anhalten um zu fotografieren. Auch wenn die Schenkel schmerzen und ich dann den Jungs wieder hinterher hecheln muss. Nach 50 km der 1. Kontrollpunkt in Radda. Schönes, auf einem Hügel gelegenes Städtchen. Die Verpflegungsstände sind stark umlagert. Nur leider wurden die besten Sachen schon von unseren Vorgängern aufgefuttert! Es gibt nur noch trockenes Brot mit Nutella. Aber die Rast tut gut. Dann geht´s weiter. 15 km später, nach einer endlosen Steigung mit bis zu 15%, der nächste Stopp. 700 Höhenmeter zeigt der Höhenmesser. Mitten in einem Olivenhain endlich die 2. Verpflegungsstation. Hier gibt es noch gute Sachen. Dabei hat es geheißen, dass um 13:00 Uhr der Stand dicht gemacht wird. Jetzt ist es schon 14:00 Uhr. Glück gehabt – denn nur Riegel sind auf die Dauer auch nicht so toll.

Helferinnen und Helfer in alten Trachten reichen uns regionaltypische Kost: Statt Powerriegel und Energy-Drinks gibt’s für die Radler Salami und Pecorino, mit Olivenöl beträufeltes Weißbrot. Ribollita, die toskanische Gemüsesuppe mit Brot, die über Holzscheiten in einem Kessel köchelte, ist längst alle. Wer zu spät kommt...

Wir gönnen uns einen Schluck Rotwein. Aber Vorsicht, zuviel macht schwere Beine. Mitten auf dem Vorplatz sitzen vier Radler aus den neuen Bundesländern und spielen Karten – wir verstehen die Welt nicht mehr. Allmählich wird es leer und auch wir machen uns auf zur letzten Etappe.

Endlos geht es nun erst mal mit Tempo bergab. Bis zur nächsten mörderischen Steigung. Die Schenkel brennen, der Schweiß fließt in Strömen und so manchen Steilhang müssen wir schieben – keine Kraft mehr. Sind ja auch Steigungen über 15% dabei. Durchgeschüttelt von den unzähligen Schotterpassagen beginnen wir zu verstehen wie sich Rennfahrer vor 50 Jahren gefühlt haben, als sie sogar Alpenpässe auf solch einem Untergrund zu bezwingen hatten; jeder Radsportler der Vergangenheit wird angesichts dieser Qualen zum "Helden".

Dann endlich die Ziel-Abfahrt nach Gaiole. Hier wird schon kräftig gefeiert. 16:45 Uhr - wir sind wohl bei den Letzten – aber egal, geschafft. Wir haben die Ziellinie überquert, wissen nun warum die Tour L'Eroica heißt: sie hat einfach alles was ein Radrennen braucht! Jede Menge Steigungen, Passagen durch eine unglaubliche Landschaft, die fast zum Absteigen und Genießen verleitet, aber auch schnelle Abfahrten, die die Teilnehmer fast in einen Adrenalinrausch treiben. Und das alles auf losem Untergrund! Einerseits ist man froh, die Strapazen überstanden zu haben, andererseits durchströmen einen unzählige schöne Erinnerungen, welche die L'Eroica fast zur Sucht werden lassen!

Unsere Frauen empfangen uns begeistert und alle Strapazen sind vergessen. Dann hätten wir beinahe noch das Abstempeln bei der Zeitnahme verpasst. Denn die Stempelstelle am Ziel schließt um 17:00 Uhr.

Auf dem Marktplatz treffen wir auch Gerd und Stephan wieder. Die sehen aus! Von oben bis unten mit Dreck bespritzt. Nachher erfahren wir, dass Gerd von einem Autofahrer aufs Korn genommen wurde. Der Rahmen seines Rennrades ist böse verbogen. Gerd hat einen zerfetzten Schuh und ein geschwollenes Knie. Aber die Knochen sind noch ganz. Zum Glück. Wir sind Helden! - trinken auf unseren Erfolg und lassen später den Tag bei unserem Hausherrn mit einer riesigen Portion Spaghetti ausklingen.

Unterm Strich:

Gesamtdistanz: 72 km,
Fahrzeit: 5:26 Std.,
Durchschnittsgeschwindigkeit: 13,2 km/h,
max. Geschwindigkeit: 65,5 km/h,
Höhenmeter gesamt: 1551 Hm,
Höchster Punkt: 723 m ü. N.N.,
durchschnittliche Steigung.: 5%,
max. Steigung: 17%.

Tipp :

Wenn man schon mal hier in der Toskana ist, sollte man 2-3 Tage mehr einplanen und sich unbedingt die Städte Siena, Florenz und San Gimignano ansehen.

Bilder

Zum Foto-Album mit den Bilder von der Teilnahme an der L'Eroica 2010
:: Foto-Album L'Eroica

»Strade Bianche« - erhaltenswerte Schotterpisten

"Mit L'Eroica wollen wir das Abenteuer und den Sportsgeist aus der Zeit der Radsporthelden Coppi und Bartali wiederbeleben und für den Erhalt der historischen Schotterstraßen, der »Strade Bianche«, kämpfen" erklärt Giancarlo Brocci. "Denn neben dem Wein, den Oliven und Zypressen prägten die alten, Dörfer verbindenden Schotterpisten das Bild von der Kulturlandschaft Toskana." Brocci ist der Schöpfer der Eroica, mit seiner Vereinigung Parco Ciclistico del Chianti veranstaltet er das Retro-Radrennen. Damit die weitere Asphaltierung der strade bianche gestoppt wird, machen die Eroica-Organisatoren, viele Einheimische, Umweltschützer und Radsportfreunde, aber auch Ausländer, die hier ein Haus haben, Druck auf die politischen Instanzen. Nach einer Katastererhebung gibt es in der Provinz Siena noch 1.500 Kilometer Schotterpisten.

Kosten

Die Teilnahme an L'Eroica ist kein ganz billiges Vergnügen, wobei das Nenngeld von nunmehr Euro 25,- p.P. inkl. Versicherung noch immer als echtes Schnäppchen bezeichnet werden kann. Kosten entstehen vor allem durch die An- und Rückreise (2.000 km z. B. aus dem Rhein-Main-Gebiet) sowie durch den Aufenthalt vor Ort:

Nenngeld für 2 Pers. ca. 50,-
Benzinkosten f. 2.000 km mit dem PKW: ca. 200,-
Autobahnvignette Schweiz: ca. 30,-
Autobahngebühren Italien: ca. 60,-
Unterkunft i. Doppelzimmer p.P./Nacht 35,- (4 ü.) ca. 280,-
Summe: ca. 620,-

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